Tagung
Verketzerungsprozesse in Mitteldeutschland
im Spätmittelalter und 16. Jahrhundert
24.–26. Oktober 2024 in Stolberg
(Historisches Rathaus, Markt 1, 06536 Südharz OT Stadt Stolberg)
Im Vorfeld des Bauernkriegsgedenkens 2025 wurde auf der wissenschaftlichen Tagung ein Phänomen in den Blick genommen, das bei der Auseinandersetzung mit Thomas Müntzer und anderen Vertretern der „radikalen Reformation“ eher selten beachtet wird: der Vorgang der „Verketzerung“ dieser Gruppierungen durch die etablierten Wittenberger Reformatoren. Luther und Melanchthon lenkten die Berichterstattung über Müntzer und die von ihm angeblich angestifteten Bauern sowie über die Täufer bewusst so, dass das rigide Vorgehen gegen die Aufständischen aus religiöser Perspektive gerechtfertigt wurde. Die radikalen Ansichten und Aussagen ihrer Gegner sind dabei oftmals nur in Schriften der Reformatoren erhalten. Dieses Verfahren, Konkurrenten jeglicher Art – politischer, sozialer, religiöser – durch Häresievorwürfe zu schädigen und in letzter Konsequenz auszuschalten, ist im 16. Jahrhundert jedoch keineswegs neu. Bereits im Mittelalter wurde es in verschiedenen Kontexten zur Anwendung gebracht.
In einem epochenübergreifenden Zuschnitt wurde auf der Tagung der Mechanismus der Verketzerungen untersucht, angefangen mit der „Erfindung“ der Katharer im 13. Jahrhundert. Den Schwerpunkt bildete jedoch der mitteldeutsche Raum im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert. Die Beiträge befassten sich mit Häresievorwürfen und deren Instrumentalisierung in sozialen und politischen Konflikten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, z. B. im städtischen Kontext oder in den Auseinandersetzungen der Reformationszeit mit den Anhängern Müntzers, den Täufern und anderen devianten Gruppierungen. Im Vergleich mit spätmittelalterlichen Vorläufern und späteren frühneuzeitlichen Ausgrenzungsphänomenen wurde bewertet, inwiefern die Ausgrenzungsmechanismen der Wittenberger Reformatoren sich in lange Traditionslinien einbetten lassen oder aber durch besondere Merkmale der Verketzerung hervortreten.
Veranstaltet wurde die Tagung von der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Gemeinde Südharz und dem Projektbüro Bauernkrieg der Standortentwicklungsgesellschaft Mansfeld-Südharz mbH.
Wissenschaftliche Leitung: Ingrid Würth (Halle/Saale), Andreas Pečar (Halle/Saale)
Eindrücke von der Tagung (© Historische Kommission für Sachsen-Anhalt, Fotos: Oliver Ritter)
PROGRAMM
DONNERSTAG, 24. OKTOBER 2025
14.30 Uhr
Grußworte und Einführung
1. Verketzerung im Mittelalter und in der Reformationszeit
15.15 Uhr
Markus Krumm (München)
In provintia Narbonensi, ubi quondam fides floruerat... Verketzerungsprozesse um 1200 und die aktuelle Debatte über die katharische Gegenkirche
16.00 Uhr Kaffeepause
16.30 Uhr
Georg Modestin (Freiburg im Üechtland)
Sed reversus ad vomitum colligere et disseminare discipulos non desistit. Die Verketzerung der ersten Waldenser (Ende des 12. Jahrhunderts)
17.15 Uhr
Cornelia Linde (Greifswald)
Universitäre Verketzerung der Templer. Die quaestiones quodlibetales des Johannes de Polliaco
FREITAG, 25. OKTOBER 2024
9.00 Uhr
Stefan Rhein (Lutherstadt Wittenberg)
„Das neue Monster“. Luther in katholischen Ketzerkatalogen
2. Müntzer und „Schwärmer“
9.45 Uhr
Thomas Hahn-Bruckart (Rostock)
Von „Schwermern“, „Geystern“, „Pickarden“ und „Böhmen“: Strategien und Semantiken der Verketzerung im Kontext der frühen Wittenberger Reformation
10.30 Uhr Kaffeepause
11.00 Uhr
Friedemann Stengel (Halle/Saale)
Polemik und Produktion. Vom Bauernkrieg ins Lehrbuch
11.45 Uhr
Marianne Taatz-Jacobi (Halle/Saale)
Müntzer vs. Wittenberg. Die posthume Verketzerung Thomas Müntzers
12.30 Uhr Mittagspause
3. Täufer
14.00 Uhr
Jakob Debelka (Halle/Saale)
Christus wurde in Erbsünde geboren, der neue Bauernaufstand wird erfolgreich enden und alle Schlösser müssen zerstört werden. Das fingierte Urteil gegen den Täuferprediger Ambrosius Spittelmaier 1528
14.45 Uhr
Andreas Lindner (Erfurt)
Von Ketzern und Ketzermachern – die Täufer in der Perspektive der Wittenberger Reformation
15.30 Uhr Kaffeepause
16.00 Uhr
Ulrike Kaiser (Kahla)
Der Fall Hans Schleier: „Happy End“ durch Melanchthon
16.45 Uhr
Aneke Dornbusch (Bonn)
„Er hatte 24 Frauen [...]“ – Sexuelle Devianz als Topos in Verketzerungsprozessen der Reformationszeit
SAMSTAG, 26. OKTOBER 2024
4. Die longue durée der Verketzerungsrhetorik
9.00 Uhr
Ingrid Würth (Halle/Saale)
Herkunft als Stigma und Ketzer als Vorbilder
9.45 Uhr
Andreas Pečar (Halle/Saale)
Eine Arminian Revolution in Stuart-England? Wie die neuere Kirchengeschichte der zeitgenössischen Verketzerungsrhetorik auf den Leim ging
10.30 Uhr Kaffeepause
11.00 Uhr
Simon Franzen (Tromsø)
Das „Quaker-Irrlicht“ und die „Rettung der Göttlichen Wahrheit“: Christoph Heinrich Löbers (1634-1705) Konstruktion des Quäkertums als Irrlehre
11.45 Uhr
Katharina Neef (Leipzig)
Ketzer als das verkörperte Andere. Stereotype über Ketzer, Sekten und Andere, mit denen man nichts zu tun haben will
Im Frühjahr 2025 jährt sich der Bauernkrieg zum 500. Mal. Dieses Gedenkjahr nimmt die Historische Kommission zum Anlass für zwei wissenschaftliche Tagungen, in denen das Thema Bauernkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen werden soll. Neben der Tagung zu Verketzerungsprozessen findet im April 2025 die Tagung Gewalt im Bauernkrieg in Stolberg statt. Weitere Informationen zu dieser Tagung finden Sie hier.